"Was bitte ist denn Demut?"
Von Das Gespräch Führte Peter Beddies 22. Februar 2009, 02:42 Uhr
Bruno Ganz und David Kross haben sich bei dem Film "Der Vorleser" kennengelernt: Ein Gespräch über Mentoren, Karrieren und Respekt
Als "den schlechtesten Holocaust-Film aller Zeiten" hat Ron Rosenbaum den "Vorleser" in der Besprechung für das Internetmagazin "Slate" bezeichnet. Rosenbaum, Autor des Buches "Explaining Hitler", sieht in dem Film den Vorstoß, die während der Nazizeit lebenden Deutschen von der Mittäterschaft am Holocaust freizusprechen. Die Kritik kommt nicht unerwartet; schon Bernhard Schlinks Buch über die Liebe einer ehemaligen KZ-Aufseherin und einem Jurastudenten war erfolgreich und - ob des "wohligen Nazischauers", so ein Kritiker - umstritten.
Wahrscheinlich wird auch der Film sein Publikum finden. Schließlich treten neben Kate Winslet ("Titanic", "Revolutionary Road") auch prominente deutschsprachige Schauspieler auf. Bruno Ganz etwa, der große Mime, der mit Schlöndorff, Wenders, Zadek, Bondy arbeitete, der als Faust und Hitler auftrat, der als Engel über Berlin schwebte. Ganz spielt nun mit David Kross, der fast 50 Jahre jünger ist und nach seinen ersten beiden Filmen "Knallhart" und "Krabat" am Anfang seiner Karriere steht. So war es ganz natürlich, dass die beiden sich über Lernen und Lehren unterhalten.
Welt am Sonntag:
Herr Ganz, würden Sie sich als Davids Mentor bezeichnen?
Bruno Ganz:
Also, mit solchen Begriffen habe ich immer so meine Schwierigkeiten. Ich kenne diesen Zug an mir, dass ich sehr vorsichtig sein muss, mit kritischen Blicken oder mit Bemerkungen. Es stimmt, ich habe irgendwann gemerkt, dass ich den David gern mag und mich dann ein wenig um ihn gekümmert. Meine Verschlossenheit ist dann zurückgegangen. Das hat auch David gemerkt.
David Kross:
Stimmt, das kann ich bestätigen. Das hat gar nicht so lange gedauert, bis die ersten Signale von Bruno kamen.
Wie lernt man von Bruno Ganz? Indem er einem Schauspielstunden gibt?
Ganz:
Ich soll Schauspielstunden geben? Um Gottes willen!
Warum dieses Entsetzen Herr Ganz. Wären Sie ein schlechter Lehrer?
Ganz:
Ich denke schon. Aber ich habe es auch noch nie probiert. Wenn ich mal wieder mit David spielen sollte und sollte sehen, dass ich ihm einen Hinweis geben könnte, der ihm nützt, dann würde ich das sicher tun.
Würden Sie Lektionen von Bruno Ganz annehmen? Mit 18 hat man zuweilen so Probleme mit Autoritäten.
Kross:
Nein, die hätte ich in diesem Fall nicht. Bruno hat mir in einer Szene auch mal Hinweise gegeben. Da haben wir vor dem Gericht gedreht und ich hatte das Gefühl, noch nicht so mit der Kamera spielen zu können. Aber generell war das so, dass ich viel zugeschaut habe, was und wie Bruno spielt. Wie Bruno eine Szene ausarbeitet, wie er mit seinem Körper umgeht. Das anschauen zu können, hat mir wahnsinnig geholfen.
Ganz:
Vielen Dank, ich bin begeistert. Wissen Sie, das ist einfach eine glückliche Fügung, wenn Sie so einen Typen mögen. Ich hätte den Professor Rohl auch spielen können mit einem, den ich nicht so gut finde. Aber es ist natürlich schöner, wenn man sich für den Partner tatsächlich erwärmt.
Herr Ganz, Sie hatten gerade erwähnt, dass Sie den Begriff Mentor nicht so mögen.
Ganz:
Der trifft auch nicht so ganz zu. Wir sind ja Kollegen, ganz einfach. David und ich spielen beide in einem Film mit. Wir sind beide Schauspieler. Und einen Mentor hatten wir ja, oder Lehrer: den Regisseur. Der wusste genau, in welcher Richtung er uns haben wollte.
Erinnert Sie David an Ihre Anfänge? Sie waren ebenfalls ein Teenager, als Sie anfingen, Filme zu drehen.
Ganz:
Was, ich? Ach so, Sie meinen diese Schweizer Filme Anfang der 60er-Jahre. Nein, da habe ich ja nur ganz kleine Rollen gespielt. Das ist auf keinen Fall mit dem zu vergleichen, was David hier spielt.
Hatten Sie jemals einen Mentor beim Film?
Ganz:
Nein. Das habe ich schon weitgehend selbst lernen müssen. Als ich zum Film kam, da hatte ich vorher schon meine Jahre beim Theater hinter mir. Ich war ein gestandener Schauspieler. Viele Leute hatten damals auch gemeint: "Du und das Kino, das wird nichts!" Aber Kino war immer ein Traum von mir. Erst als ich mit Wim Wenders "Der amerikanische Freund" gemacht hatte und später dann "Himmel über Berlin", da war ich selbst auch überzeugt, dass dieser Traum wahr werden kann.
Glauben Sie, dass Sie David Kross mit Ihrer Erfahrung helfen können, einige Fehler zu vermeiden, oder muss man die alle selber machen?
Ganz:
Schwer zu sagen. Wenn man jemanden mag, dann kann man schon versuchen, ihm das eine oder andere mit auf den Weg zu geben.
Kross:
Also ich höre gern zu und nehme Ratschläge entgegen. Aber es kommt ja immer darauf an, was man daraus macht.
Ganz:
Genau. Aber viele Sachen muss man einfach auch selbst entdecken. Ich bin mir zum Beispiel ziemlich sicher, dass David das Ticket nach Hollywood eines Tages lösen wird. Kann ich ihm sagen, wie er das machen soll, was er vermeiden soll? Nein, das muss er allein herausfinden. Ich kann ihm sagen: "David, du hast Talent, ich sehe dich als Kollegen an." Das genügt.
Verbindet Sie beide eine Eigenschaft, die man Bodenständigkeit nennen könnte, gepaart mit ein bisschen Demut?
Ganz:
Ich weiß gar nicht, ob Demut der richtige Begriff ist. Aber ich bin auch schon älter.
Kross:
Was bitte ist denn Demut?
Ganz:
Ich glaube, Zurückhaltung ist der bessere Begriff. Oder abwartender Respekt, vielleicht auch Höflichkeit.
David hatte gerade gefragt, was Demut eigentlich ist.
Ganz:
Vielleicht kann man das am besten damit umschreiben, dass man die eigene Stellung in der Welt erkennt, dass man merkt, wie klein man eigentlich im Vergleich zur Welt ist.
Kross:
Wenn man das so definiert, dann bin ich da auf jeden Fall mit dabei. Ich bin in vielen Sachen absolut unsicher.
Kein Höhenflug, weil die mediale Welt gerade Kopf steht, da Sie mit Kate Winslet Bettszenen hatten? Obwohl man Sie eher dafür loben sollte, dass Sie mit Kates schauspielerischem Talent mithalten konnten.
Kross:
Vielen Dank. Nein, ein Höhenflug setzt da bei mir bestimmt nicht ein.
Ganz:
Würde mich auch wundern.
Kross:
Bei mir setzt sich das jetzt erst alles so langsam. Ich kann mich immer noch gut an die Überraschung erinnern, als ich zum ersten Mal vor Kate Winslet stand und dann als wir die ersten Szenen hatten. Wie aufgeregt ich war, wie Kate mir die Aufregung genommen hat, in dem sie viele Dinge erklärt hat. Sie hatte so überhaupt nichts Divenartiges an sich. Ich hatte das Gefühl, dass wir alle auf eine gemeinsame Reise gegangen sind.
Herr Ganz, was würden Sie David empfehlen, wann die richtige Zeit für schwere Rollen ist? Man könnte jetzt das Stichwort Hitler einwerfen.
Ganz:
Nein nein nein, darauf lasse ich mich jetzt nicht ein. Gerade das ist das Schwierige, das nur er herausfinden kann. Dabei kann ihm niemand helfen. Er muss irgendwann erkennen, in welche Richtung sein Interesse geht. Er muss entdecken, was mit ihm ist und wo er hinwill. Fest steht, er hat mit dem "Vorleser" ordentlich was geleistet. Jetzt stehen ihm viele Türen offen.
